Eheschutzverfahren
01.03.2019 jb / 17.01.2020 sbi / 24.02.20 sbi
Zusammenfassung
Können sich Ehepaare über die Modalitäten der Trennung nicht einigen, sollten sie das Getrenntleben gerichtlich regeln lassen. Im nachfolgenden Kapitel wird das Thema Eheschutz erläutert und das Eheschutzverfahren detailliert erklärt.
1. Definition
Wenn sich die Ehepartner über die Regelung des Getrenntlebens nicht einigen können oder sich einer der Ehepartner einer Lösungsfindung gar entzieht, indem sie/er z.B. die gemeinsame Wohnung fluchtartig verlässt und den Kontakt abbricht, ist das Eheschutzgericht anzurufen, welches im sogenannten Eheschutzverfahren die Folgen des Getrenntlebens regelt. Im Kanton Bern sind die zuständigen Gerichte die Regionalgerichte (s. Links: Regionalgerichte Bern).
Das Eheschutzverfahren hat eine grosse praktische Bedeutung und dient vielfach als Vorbereitung der Scheidung. Die Regelungen durch das Eheschutzgericht nehmen im Hinblick auf die Scheidung oftmals vieles vorweg, da die Anordnungen auch während eines Scheidungsprozesses gelten und zudem Fakten setzt, welche die Regelung der Nebenfolgen der Ehescheidung beeinflussen können.
Das Eheschutzverfahren ist ein summarisches Verfahren (Art. 271 ZPO), das in Art. 172 bis 179 ZGB geregelt ist. Die allgemeinen Bestimmungen des summarischen Verfahrens kommen ebenso zur Anwendung wie die Bestimmungen des ordentlichen Verfahrens.
Rechtliche Grundlagen:
- Art. 171 – 179 ZGB
- Art. 271 – 273 ZPO
Es werden grundsätzlich folgende zwei Arten von Eheschutz-Massnahmen unterschieden:
- Vermittelnder Eheschutz: richterliche Ermahnung und Vermittlung; hat in der Praxis kaum Bedeutung
- Autoritativer Eheschutz: richterliche Anordnung von Massnahmen
Das Verfahren ist grundsätzlich mündlich (Art. 273 ZPO) und das Gericht hat den Sachverhalt von Amtes wegen zu untersuchen (Art. 272 ZPO). Auf eine mündliche Verhandlung kann das Gericht nur verzichten, wenn der Sachverhalt aus den Eingaben der Parteien klar oder unbestritten ist.
Materiell müssen folgende Voraussetzungen gegeben sein:
- Vernachlässigung oder Nichterfüllen familiärer Pflichten durch einen oder beide Ehegatten
- Uneinigkeit in wichtiger Eheangelegenheit
In Frage kommende (vernachlässigte) familiäre Pflichten:
- eheliche Treue- und Beistandspflicht
- Beitrag zum Unterhalt
- Vertretung der ehelichen Gemeinschaft
- Rücksichtnahme bei Ausübung des Berufs oder Gewerbes
- gegenseitige Informations- und Auskunftspflicht
Nicht jede geringfügige Pflichtverletzung kann Anlass zu Eheschutzmassnahmen geben. Die Nichterfüllung der Pflichten muss von erheblicher Natur sein. Ein Verschulden ist nicht erforderlich.
In den meisten Fällen wird eine Eheschutzmassnahme auf unbestimmte Zeit durch das Regionalgericht ausgesprochen. Eine befristete Trennung ist grundsätzlich zwar möglich, hat aber den Nachteil, dass nach Ablauf der festgelegten Zeit die Eheschutzmassnahmen wieder dahinfallen. Dauert die Trennung jedoch länger und stellt z.B. die/der Unterhaltsverpflichtete seine Unterhaltszahlungen nach Ablauf der festgelegten Zeit ein, kann die/der Unterhaltsberechtigte trotz Gerichtsentscheid nicht mehr erfolgreich die Betreibung dafür einreichen. Sie/Er muss sich wiederum an das Regionalgericht wenden. In der Praxis kommt daher die Anordnung einer befristeten Trennung kaum vor.
2. Zuständigkeit
Zuständig für die Regelung des Getrenntlebens ist der/die sogenannte Eheschutzrichter/in am Wohnsitz der Ehepartner. Im Kanton Bern amten die Eheschutzrichter/innen im Regionalgericht (s. Links: Regionalgerichte). Leben die Ehepartner bereits getrennt in verschiedenen Gerichtskreisen, ist dasjenige Regionalgericht zuständig, bei dem das Begehren zuerst eingereicht wird.
3. Verfahrensablauf
Wird ein schriftliches Gesuch (s. Formulare: Gesuch Eheschutzmassnahme) mit Begründung beim Regionalgericht eingereicht, wird dieses der Gegenpartei zur Stellungnahme zugestellt. Nach Eingang der Stellungnahme bestimmt das Gericht, ob zu einer Verhandlung vorgeladen wird (Regelfall) oder ob ausnahmsweise die Voraussetzungen für einen direkten Entscheid gegeben sind. Das Verfahren (Gerichtsverhandlung) ist grundsätzlich mündlich (Art. 273 ZPO) und das Regionalgericht hat den Sachverhalt von Amtes wegen abzuklären (Untersuchungsmaxime; Art. 272 ZPO). Auf eine mündliche Verhandlung kann das Gericht nur dann verzichten, wenn der Sachverhalt aus den Eingaben der Parteien klar oder unbestritten ist. Je umfassender das Regionalgericht mit Informationen und Belegen zu den persönlichen und finanziellen Verhältnissen versorgt wird, umso schneller und sachgerechter kann es einen Entscheid fällen. Mit dem Eheschutzgesuch sind deshalb alle Belege und Unterlagen einzureichen oder spätestens zur Verhandlung mitzubringen.
Im Vorfeld der Eheschutzverhandlung sollten sich die Eheleute mit folgenden Fragen befassen:
- Wer soll in der ehelichen Wohnung bleiben?
- Bei wem sollen die Kinder wohnen?
- Wie soll das Besuchsrecht ausgestaltet werden?
- Wie hoch soll der Unterhaltsbeitrag an die Kinder sein?
- Wie hoch soll der Unterhalt an die/den unterhaltsberechtigte/n Ehegattin/Ehegatten sein?
- Wie soll der Hausrat aufgeteilt werden?
- Notwendigkeit der Anordnung der Gütertrennung bei Gefahr der Vermögensverschleuderung durch die Ehegattin/den Ehegatten?
- Wer trägt die Gerichtskosten?
Nach Eingang der Stellungnahme bestimmt das Gericht, ob zu einer Verhandlung vorgeladen wird oder ob die Voraussetzungen für einen direkten Entscheid gegeben sind.
Es ist also denkbar, dass das Eheschutzverfahren wie folgt ablaufen könnte:
Variante 1 | Variante 2 | Variante 3 | Variante 4 |
---|---|---|---|
Gesuch ohne Begründung | Gesuch mit Begründung | Gesuch mit Begründung | Gesuch mit Begründung |
Verhandlung | Verhandlung | Frist an Gegenpartei zur Stellungsnahme (ZPO 253) | Frist an Gegenpartei zur Stellungsnahme (ZPO 253) |
Entscheid | Entscheid | Verhandlung | Enscheid |
Entscheid |
Variante 1 und 2 sind die Regelfälle. In Variante 1 kann sich das Gericht erst an der Verhandlung ein Bild der Sachlage machen. In Variante 2 ist die Begründung nicht schlüssig oder das Gericht schätzt es einfacher ein, die Parteien beide anzuhören, statt einen Schriftenwechsel durchzuführen. Variante 3 kommt eher in komplexeren Fällen mit Anwältinnen/Anwälten auf beiden Seiten vor.
Variante 4 dürfte in den Fällen praktiziert werden, in denen das Gericht aufgrund der Eingaben beider Parteien restlos davon überzeugt ist, dass es zwischen ihnen nichts Weiteres zu regeln gilt, z.B. wenn beide Parteien anwaltlich vertreten sind und sich in einer Vereinbarung bereits geeinigt haben.
Das Gericht wirkt auf eine Einigung der Ehegatten bezüglich der Folgen des Getrenntlebens hin und unterbreitet den Ehegatten einen Vereinbarungsvorschlag. Kann keine Einigung der Ehegatten über sämtliche Folgen des Getrenntlebens gefunden werden (Volleinigung), versucht das Gericht zumindest eine Teileinigung herbeizuführen (Teil-Konvention). Das Gericht entscheidet in den strittig gebliebenen Punkten.
4. Rechtsmittel gegen Eheschutzentscheid
Der Entscheid des Regionalgerichts kann mit einem ordentlichen Rechtsmittel an die obere kantonale Instanz, an das Obergericht des Kantons Bern (s. Links: Obergericht Kanton Bern) weitergezogen werden (Berufungsinstanz) und der Entscheid der 2. Instanz (unter gewissen Voraussetzungen) an das Bundesgericht.
5. Änderung von Eheschutzmassnahmen
Ändern sich die Verhältnisse, so passt das Gericht auf Begehren eines Ehegatten die Massnahmen an oder hebt sie auf, wenn ihr Grund weggefallen ist. Eine Abänderung von Eheschutzmassnahmen setzt voraus, dass seit der Rechtskraft des Urteils eine wesentliche und dauerhafte Veränderung eingetreten ist. Ein Abänderungsgrund liegt auch dann vor, wenn die tatsächlichen Feststellungen, die dem Massnahmeentscheid zugrunde lagen, sich nachträglich als unrichtig erweisen oder nicht wie vorhergesehen verwirklichen. Schliesslich kann ein Ehegatte die Änderung verlangen, wenn sich der ursprüngliche Entscheid als nicht gerechtfertigt erweist, weil dem Massnahmengericht wesentliche Tatsachen nicht bekannt waren (Urteil 5A_136/2014 vom 5. November 2014 E. 3.2; vgl. BGE 141 III 376 E. 3.3.1; Urteil 5A_235/2016 vom 15. August 2016 E. 3.1).
6. Erbrecht während des Getrenntlebens
s. Stichwort: Trennung der Ehegatten
7. Übergang zur Scheidung
Nach zweijährigem Getrenntleben ist jeder Ehegatte berechtigt, die Klage auf Scheidung einzuleiten. Der Scheidungswillige hat einen absoluten Scheidungsanspruch. Das Gesetz geht in diesem Fall von einer unheilbaren Zerrüttung der Ehe aus, weshalb kein Widerstand des anderen Ehegatten mehr möglich ist. Bei gemeinsamem Scheidungswillen ist das Abwarten der 2-jährigen Trennungsfrist nicht notwendig. Eine sog. Scheidung auf gemeinsames Begehren ist jederzeit möglich.
Die bisherigen Regelungen durch das Eheschutzgericht nehmen im Hinblick auf die Scheidung oftmals vieles vorweg. Die Anordnungen des Eheschutzgerichts gelten während des Scheidungsprozesses meistens weiter (ausser sie werden aufgrund eines entsprechenden Parteibegehrens im Rahmen von vorsorglichen Massnahmen abgeändert). In folgenden Bereichen besteht im Hinblick auf die Scheidung oftmals eine präjudizierende Wirkung:
- Kinderbelange
- Aufteilung des Hausrats
- Unterhaltsregelung (Trennungsunterhalt = Messlatte für nachehelichen Unterhalt)
Quellen und Links
keine
Siehe auch