Unentgeltliche Prozessführung

 

01.03.2019 / jb

Zusammenfassung

Ist eine Person in ein Gerichtsverfahren involviert, kann sie ein Gesuch um unentgeltliche Prozessführung (UP) stellen – sofern sie keine finanziellen Mittel zur Verfügung hat, um die Gerichts- und Anwaltskosten zu bezahlen. Im folgenden Stichwort werden Definition und Rahmenbedingungen zur unentgeltlichen Prozessführung (auch unentgeltliche Rechtspflege) ausgeführt.

1. Definition / Grundsatz

In einem Gerichtsverfahren können erhebliche Kosten anfallen. Unter bestimmten Voraussetzungen wird einer Partei unentgeltliche Rechtspflege gewährt. Dies bedeutet, dass sie von der Bezahlung der Kosten grösstenteils und vorläufig (s. Kap: 3) befreit ist.

2. Voraussetzung

Das Recht auf unentgeltliche Prozessführung wird von der verfahrensführenden Behörde erteilt, wenn der/die Gesuchsteller/in nicht über die nötigen Mittel verfügt (s. Links: Kreisschreiben 1 Prozessarmut) und das Gerichtsverfahren nicht aussichtslos ist.

Die Voraussetzungen für die Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung sind wie folgt:

Übernahme der Gerichtskosten Übernahme der Anwaltskosten
  • Das Gerichtsverfahren darf nicht aussichtslos erscheinen
  • Die beantragende Person muss bedürftig sein, das heisst unter oder nur knapp über dem Existenzminimum (s. Kap: 2.2) leben

 

  • Das Gerichtsverfahren darf nicht aussichtslos erscheinen
  • Die beantragende Person muss bedürftig sein, das heisst unter oder nur knapp über dem Existenzminimum leben
  • Ohne anwaltliche Unterstützung wären die beantragende Person als juristische/r Laie nicht in der Lage, die zu klärenden juristischen und tatsächlichen Fragen dem Gericht angemessen darzulegen


Für den Anspruch auf unentgeltliche Rechtsvertretung ist zudem nachzuweisen, dass die Vertretung durch eine Anwältin/einen Anwalt im konkreten Fall notwendig ist. Dies ist insbesondere immer dann der Fall, wenn die Gegenpartei anwaltlich vertreten ist.

Es gilt in jedem Fall, die Bedürftigkeit nachzuweisen (s. Merkblätter: Recht auf unentgeltlichen Rechtsschutz). Bedürftig ist, wer die Kosten eines Verfahrens nicht ohne Beschränkung des notwendigen Lebensunterhalts für sich und seine Familie zu bestreiten vermag. Zu berücksichtigen sind sowohl die Mittel der gesuchstellenden Person als auch jene von unterhaltspflichtigen Dritten. Es ist Sache der gesuchstellenden Person, ihre Prozessbedürftigkeit nachzuweisen. In einem Budget werden Einkommen und Vermögen dem zivilprozessualen Zwangsbedarf gegenübergestellt. Der zivilprozessuale Zwangsbedarf besteht aus dem um 30% erhöhten betreibungsrechtlichen Existenzminimum und den anrechenbaren Zuschlägen.

3. Rückerstattungspflicht

Die Gerichts- und Anwaltskosten sind dem Staat bzw. der Anwältin/dem Anwalt durch diejenige Partei nachzubezahlen, welche die unentgeltliche Rechtspflege geniesst, wenn sie innerhalb von zehn Jahren seit dem Urteil zu hinreichendem Vermögen oder Einkommen gelangt (s. Stichwort Steuern, Kap. Informationsaustausch bei unentgeltlicher Prozessführung). Weitere Ausführungen, auch über die Rückerstattungspflicht: s. Checkliste: Unentgeltliche Rechtspflege

4. Vorgehen und Zuständigkeit

In Zivil- und Verwaltungsverfahren reicht die klagende Person oder ihr/e Rechtsvertreter/ in das Gesuch inkl. Beilagen bei dem/der für die Streitfrage zuständigen Richter/in ein, welche/r auch über die Erteilung des Rechts auf unentgeltliche Rechtspflege entscheidet.

5. Kostenverteilung und unentgeltliche Rechtspflege in den einzelnen Rechtsgebieten

Unentgeltliche Rechtspflege heisst nicht, dass für die prozessierende Person überhaupt keine Kosten entstehen. Es sind folgende Fälle zu unterscheiden:

5.1.1 Definition der Prozesskosten

In einem Zivilverfahren können folgende Kosten anfallen:

  • Gerichtskosten: Kosten, welche dem Gericht für das Verfahren zu bezahlen sind
  • Parteikosten (auch Parteientschädigung): Kosten, welche der Gegenpartei zu bezahlen sind (in der Regel das Honorar der gegnerischen Anwältin/des gegnerischen Anwalts)

Die Gesamtheit der Gerichts- und Parteikosten wird als Prozesskosten bezeichnet.

5.1.2 Verteilung Kosten

Die Kosten werden wie folgt verteilt:

Wer verliert

Wer gewinnt

…muss die Gerichtskosten, die Parteikosten der Gegenpartei sowie die Kosten des eigenen Rechtsvertreters bezahlen.

 

…muss nichts bezahlen – die Gegenpartei wird kostenpflichtig.
Werden die Kosten aufgeteilt (wettgeschlagen), so muss jede Partei ihre eigenen Kosten übernehmen.

Wem gemäss Art. 117 ZPO unentgeltliche Rechtspflege erteilt worden ist, ist befreit von:

  • Vorschuss- und Sicherheitsleistungen
  • den Gerichtskosten
  • der Entschädigung für einen eventuell notwendigen Anwalt oder eine Anwältin

Die unentgeltliche Rechtspflege befreit die verlierende Partei somit von der Bezahlung der Gerichtskosten sowie der Kosten ihrer eigenen Anwältin/ihres eigenen Anwalts (diese/r wird zu einem tieferen Ansatz vom Staat entschädigt). Nicht befreit wird man von der Bezahlung der Parteientschädigung an die Gegenpartei. Gewinnt die Partei, welcher die unentgeltliche Rechtspflege gewährt wurde, muss sie ohnehin nichts bezahlen, da die Gegenpartei zum Tragen der Kosten verurteilt wird.

Das Verwaltungsgericht urteilt über alle öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten als letzte kantonale Instanz, sofern die Gesetzgebung nicht einen anderen Rechtsmittelweg vorsieht. Zu den verwaltungsrechtlichen Verfahren gehören diejenigen Prozesse, die nicht sozialversicherungsrechtliche Beiträge oder Leistungen zum Gegenstand haben. Dazu gehören beispielsweise Streitigkeiten auf dem Gebiet des Steuer- und Abgaberechts, des Bau- und Planungsrechts, des Sozialhilfe- sowie des Ausländerrechts.

Die unentgeltliche Rechtspflege für Verwaltungsverfahren ist im Gesetz über Verwaltungsrechtspflege Art. 111 ff. VRPG geregelt.

5.2.1 Definition der Prozesskosten

Im Verwaltungsverfahren gibt es ebenfalls Gerichtskosten, sie werden Verfahrenskosten und Parteikosten genannt. Die Kosten werden analog dem Zivilverfahren (s. Kap. 5.1) verlegt. Die Voraussetzungen und das Verfahren für die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege im Verwaltungsverfahren richten sich nach der Zivilprozessordnung, Art. 117 ff. ZPO (s. Rechtliche Grundlagen: ZOP, Kapitel 4 unentgeltliche Rechtspflege).

5.2.2 Verteilung Kosten

Verwaltungsrechtliche Verfahren am Verwaltungsgericht sind mit Verfahrenskosten verbunden, die je nach Streitsache, Zeit- und Arbeitsaufwand des Gerichts sowie der Bedeutung des Geschäfts festgesetzt werden. Die beschwerdeführende bzw. klagende oder appellierende Partei hat diese Kosten vorzuschiessen. Die Höhe des Kostenvorschusses richtet sich zwar nach den voraussichtlichen Verfahrenskosten, diese können aber im Einzelfall vom Vorschuss abweichen. Die unterliegende Partei trägt die Verfahrenskosten. Sie hat einer anwaltlich vertretenen obsiegenden Gegenpartei zudem die Parteikosten zu ersetzen.

In den in Art. 130 StPO vorgesehenen Fällen muss die/der Beschuldigte verteidigt werden (sog. notwendige Verteidigung). Beauftragt sie/er nicht selber eine Anwältin/einen Anwalt, so wird der/dem Beschuldigten eine amtliche Strafverteidigung bestimmt (Art. 132 Abs. 1 lit. a StPO). Weiter ordnet die Verfahrensleitung eine amtliche Verteidigung an, wenn die beschuldigte Person nicht über die erforderlichen Mittel verfügt und die Verteidigung zur Wahrung ihrer Interessen geboten ist (Art. 132 Abs. 1 lit. b StPO). Die amtliche Verteidigung erhält eine amtliche Entschädigung vom Staat. Die Voraussetzungen für die Erteilung der unentgeltlichen Rechtspflege für die Privatklägerschaft sind analog dem Zivilverfahren (s. Kap. 5.1 und Art. 136 StPO) geregelt.

5.3.1 Definition der Prozesskosten

Die Kosten eines Strafverfahrens umfassen die Gerichtsgebühren und die Auslagen, zu welchen auch die Kosten für amtliche Verteidigung und unentgeltliche Verbeiständung gehören (Art. 422 StPO).

5.3.2 Verteilung Kosten

Bei einem Freispruch entstehen keine Kosten für die freigesprochene Person, diese gehen zu Lasten des Staats. Der Anwalt oder die Anwältin hat die eigenen Forderungen gegenüber dem Staat selber einzutreiben.

Bei einem Schuldspruch muss die verurteilte Person grundsätzlich die Verfahrenskosten bezahlen. Die verurteilte Person muss sie zurückzahlen, wenn sie innert 10 Jahren wirtschaftlich dazu in der Lage ist (Art. 135, Abs. 4 und 5).

Siehe auch