Opferhilfe (inkl. Solidaritätsbeitrag)

 

01.11.2020 / sni
Letzte Änderung: 10.01.2025 / sni

  • Neu: Kap.3.3 Peer-Unterstützung für Verding- und Heimkinder

Zusammenfassung

In diesem Stichwort werden zuerst die Begriffe Opfer und Opferhilfe definiert. Danach werden die Leistungen und die Organisation der Opferhilfe im Kanton Bern im Allgemeinen aufgeführt sowie im Speziellen die Solidaritätsentschädigung für Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen inkl. Vorgaben, Regelungen und Auswirkungen erläutert. Zum Schluss werden Angaben und Links zu zuständigen Beratungsstellen aufgeführt. Das Thema Häusliche Gewalt wird in einem eigenen Stichwort behandelt.

1. Definition Opfer und Opferhilfe

Jede Person, die durch eine Straftat in ihrer körperlichen, psychischen oder sexuellen Integrität unmittelbar beeinträchtigt worden ist (Art. 1 Abs. 1 OHG) ist Opfer und hat Anspruch auf Unterstützung der Opferhilfe (Art. 1 Abs. 2 OHG). Auch nahe Angehörige können Anspruch (s. Kap. 2.2) auf Leistungen der Opferhilfe haben (s. Links: Opferhilfe Bern). Die Opferhilfe umfasst nach Art. 2 OHG Beratung und Soforthilfe, längerfristige Hilfe der Beratungsstellen, Kostenbeiträge für längerfristige Hilfe Dritter, Entschädigung und Genugtuung sowie Befreiung von Verfahrenskosten. In der kantonalen Opferhilfeverordnung (KOHV) werden zudem Soforthilfe (Art. 3 KOHV) und Finanzierung von längerfristiger Hilfe durch Dritte, wie juristische, psychologische und materielle Hilfe (Art. 4-7 KOHV), genauer definiert.

2. Opferhilfe Kanton Bern

Im Kanton Bern ist die Opferhilfe Bern/Centre Lavi Berne für die Ausrichtung der Leistungen nach OHG zuständig. Sie hat zwei Beratungsstellen, Standorte sind Bern und Biel (s. Links: Opferhilfe Bern). Die zweisprachige Beratungsstelle Biel ist für das Seeland sowie für sämtliche französischsprachige Gebiete im Kanton Bern zuständig. Die Beratungsstellen der Opferhilfe Bern informieren, beraten, begleiten und triagieren kostenlos sowohl die im Sinne des Opferhilfegesetztes Betroffene und ihre Angehörigen, als auch Fachpersonen. Die Koordinaten, das Angebot, ein Verweis auf weitere Fachorganisationen sowie weitere hilfreiche Informationen sind auf ihrer Homepage zu finden (s. Links: Opferhilfe Bern).

Bei einer Straftat im Ausland leistet grundsätzlich derjenige Staat Opferhilfe, in dem die Straftat passiert ist. In bestimmten Fällen sind jedoch eine Beratung sowie gewisse finanzielle Leistungen durch die Schweizer Opferhilfe möglich. Die wichtigste Voraussetzung dafür ist, dass das Opfer zum Zeitpunkt der Straftat Wohnsitz in der Schweiz hatte. Entschädigung und Genugtuung sind bei Straftaten im Ausland ausgeschlossen (s. Quellen: Straftaten im Ausland).

Anspruch auf Beratung der Opferhilfe haben Personen, die von folgenden Straftaten betroffen sind (s. Links: Opferhilfe Bern):

  • Einfache oder schwere Körperverletzung (auch bei Verkehrsunfällen)
  • Raub, Entreissdiebstahl mit Verletzungsfolgen
  • Drohung, Nötigung
  • Freiheitsberaubung, Geiselnahme
  • Sexuelle Delikte
  • Tötung, Mord
  • Zwangsheirat/Zwangsehe
  • Verbreitung von Krankheiten
  • Menschenhandel
  • Verkehrsunfall
  • Häusliche Gewalt
  • Stalking, Cyberstalking

Kein Anspruch auf Beratung der Opferhilfe haben Personen, die z.B. von folgenden Straftaten betroffen sind:

  • Betrug
  • Diebstahl
  • Tätlichkeit
  • Beschimpfung
  • Verleumdung

3. Solidaritätsbeitrag für Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen

In der Schweiz wurden viele Menschen Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen. Betroffen davon waren insbesondere Verdingkinder, Heimkinder, administrativ versorgte Menschen, Zwangsadoptierte und Zwangssterilisierte. Sie waren über Jahre hinweg physischer und physischer Gewalt oder sexuellem Missbrauch ausgesetzt und leben nicht zuletzt aufgrund ihrer Traumatisierung noch heute in prekären Verhältnissen. Im Rahmen der Aufarbeitung dieses Kapitels der Sozialgeschichte der Schweiz hat das Parlament im Jahr 2016 das Bundesgesetz über die Aufarbeitung der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen vor 1981 (AFZFG) verabschiedet und Fr. 300 Mio. bereitgestellt (s. Quellen: Wiedergutmachung von für Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen). Das Gesetzt trat per 01.04.2017 in Kraft.

Abhängig von der Gesamtzahl der eingereichten Gesuche bis zum Ablauf der festgelegten Frist (s. Kap. 3.2) sollten die Betroffenen einen Maximalbetrag von Fr. 25'000.- pro Person erhalten. Ab der Gesetzesänderung per 01.11.2020 wurde der Betrag fix auf Fr. 25'000.- festgelegt, unabhängig von der Anzahl total eingereichter Gesuche (s. Merkblätter: Wegleitung zum Gesuchsformular Solidaritätsbeitrag). Nebst dem finanziellen Beitrag soll Beratung und Unterstützung bei der Gesuchseinreichung und der Aktenbeschaffung sowie ein einfacher und kostenloser Zugang zu den Akten gewährt werden.

Gesuche konnten ursprünglich nur bis am 31.03.2018 eingereicht werden. Aus verschiedenen, nachvollziehbaren Gründen haben sich viele Betroffene erst verspätet oder noch gar nicht gemeldet. Aus diesem Grund wurde per 01.11.2020 im AFZG die Frist gestrichen. Somit können unbefristet Gesuche auf Ausrichtung eines Solidaritätsbeitrags eingereicht werden. Das Gesuchsformular sowie die Wegleitung sind auf der Website des Bundesamts für Justiz (BJ) erhältlich (s. Formulare: Gesuchsformular Solidaritätsbeitrag).

Wichtiger Grundsatz des AFZFG ist, dass die Ausrichtung des Solidaritätsbeitrags nicht dazu führen darf, dass die Leistung an das Opfer aufgrund geltender steuer-, schuldbetreibungs-, sozialhilfe- und sozialversicherungsrechtlicher Normen nachträglich wieder geschmälert wird. In den Merkblättern für Opfer und Behörden wird dieser Grundsatz ausformuliert (s. Merkblätter: Informationen zum Solidaritätsbeitrag).

In der ersten Gesetzesversion vom 30.09.2016 wurde dieser Grundsatz für die Berechnung der Ergänzungsleistungen (EL) jedoch eingeschränkt. Vermögenserträge auf dem Solidaritätsbeitrag wurden in der EL-Berechnung berücksichtigt und der Solidaritätsbeitrag wurde als Teil des Vermögens berücksichtig. Diese stossende Regelung wurde korrigiert und die Änderung trat per 01.05.2020 in Kraft (s. Quellen: Der Solidaritätsbeitrag für ehemalige Verdingkinder soll die EL nicht schmälern und Gewährleistung der Ergänzungsleistungen ehemaliger Verdingkinder und Administrativversorgter). In einem Schreiben wurden die Begünstigten eines Solidaritätsbeitrags darüber informiert (s. Merkblätter: Nichtberücksichtigung des Solidaritätsbeitrags bei der Berechnung von Ergänzungsleistungen). I.d.R. genügt die Verfügung/Auszahlungsbestätigung als Beleg. Hilfreich ist es sicherlich, für den Solidaritätsbeitrag ein separates Konto zu eröffnen. Wenn aber bereits der Auszahlung nicht viel Vermögen vorhanden war, ist das nicht unbedingt nötig.

Anmerkung für die Praxis: Der Solidaritätsbeitrag hat höchstpersönlichen Charakter und steht ausschliesslich den betroffenen Opfern zu. Es ist unklar, inwiefern diese Auswirkungen im Fall des Todes der direkt betroffenen Person an die indirekt betroffenen Erben/Angehörigen übergeht. Besteht ein Anspruch auf EL und erbt ein/e überlebende/r Ehepartner/in oder Konkubinatspartner/in beim Tod der betroffenen Person diesen Solidaritätsbeitrag, gilt es mit der AKB abzuklären, inwiefern dieser beim Vermögen angerechnet oder eben auf eine Anrechnung verzichtet wird.

Die ehemaligen Verding- und Heimkinder werden immer älter und sind zunehmend auf fremde Hilfe angewiesen, sei dies in den eigenen vier Wänden oder in einem Alters- und Pflegeheim. Viele befürchten, dass sie im Alter wieder fremdbestimmt werden. Sie stossen mit ihrer Geschichte bei Behörden und in Alters- und Pflegheimen oft auf wenig Verständnis für ihre Situation. Um die Situation für Betroffene von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen zu verbessern, haben die Guido Fluri Stiftung und Pro Senectute Kanton Bern mit finanzieller Unterstützung des Bundesamtes für Justiz das Selbsthilfeprojekt Caregivers gestartet. Ehemalige Verdingkinder werden geschult, damit sie andere, verletzliche Betroffene unterstützen können. Weitere Informationen s. Website (s. Quellen: Betroffene helfen Betroffenen).

4. Triage durch Pro Senectute Kanton Bern

Mutmassliche und tatsächliche Opfer und/oder deren Angehörige sind mit einer Opferhilfe-Beratungsstelle zu vernetzen (s. Links: Opferhilfe Bern). Auskünfte über Umfang der Leistungen der Opferhilfe sind bei der Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion GSI erhältlich (s. Links: Opferhilfe GSI).

Weitere Adressen und Beratungsstellen für Opfer sind auf der Website der Opferhilfe Bern und der GSI (s. Links) zu finden. Die Website Opferhilfe Schweiz informiert in 5 Sprachen über die Opferhilfe in der Schweiz und führt zudem eine Kurzinformation über Opferhilfe in 11 weiteren Sprachen inkl. Gebärdensprache auf (s. Links).

Für Asbestopfer gibt es die Stiftung Entschädigungsfonds für Asbestopfer EFA (s. Links). Sie bietet finanzielle Unterstützung und Beratung für Asbestopfer und ihre Angehörigen an.

In der Wegleitung zum Gesuchsformular Solidaritätsbeitrag (s. Merkblätter: Information zum Solidaritätsbeitrag) sind die Stellen aufgeführt, welche beim Ausfüllen des Gesuchsformulars helfen können. Auch die Pro Senectute Kanton Bern kann dabei helfen, wenn dies aus sozialarbeiterischen Gründen sinnvoll ist (Z.B. Vertrauen der Klientel, längere Zusammenarbeit mit der Klientel, Kenntnis des Falles). Des Weiteren kann die Sozialberatung Betroffene für Unterstützung im Alltag an das Projekt Caregivers verweisen.

Änderungen im Stichwort

Datum Inhalt Visum
16.11.2021
  • Ergänzung Kap. 2.1: Opferhilfe für Straftaten im Ausland
sni
10.01.2025
  • Neu: Kap.3.3 Peer-Unterstützung für Verding- und Heimkinder
sni