Häusliche Gewalt

 

16.11.2021 / nsc/sni

Zusammenfassung

In diesem Stichwort wird der Begriff häusliche Gewalt definiert, werden rechtliche Grundlagen erläutert und wird speziell auf Ursachen, Formen und Risiken für Gewaltausübung an älteren Menschen eingegangen. Die häusliche Gewalt ist eine Gewaltform, welche ein Anrecht auf Beratung und Unterstützung durch die Opferhilfe generiert. Die Opferhilfe ist im entsprechenden Stichwort: Opferhilfe beschrieben, auf das in diesem Stichwort oft verwiesen wird. Zum Schluss werden spezifische Informations- und Anlaufstellen resp. -organisationen und -websites aufgeführt. Weitere Informationen sind auch auf der Internetseite von Pro Senectute Schweiz zu finden: (s. Links: Gewalt und Missbrauch im Alter).

1. Definition

Die Schweizerische Kriminalprävention (SKP) definiert häusliche Gewalt folgendermassen (s. Quellen: Häusliche Gewalt): Häusliche Gewalt liegt vor, wenn Personen innerhalb einer bestehenden oder aufgelösten familiären, ehelichen oder eheähnlichen Beziehung physische, psychische oder sexuelle Gewalt ausüben oder androhen. Auf der Website von SKP sind auch Merkmale von häuslicher Gewalt sowie deren Folgen erläutert.

Um sich ein Bild über die Häufigkeit von häuslicher Gewalt zu machen, werden hier Zahlen aus dem Jahr 2020 aufgeführt: Es wurden von der Polizei 20'123 Straftaten im häuslichen Bereich registriert. Tätlichkeiten (33%), Drohung (21%), Beschimpfung (19%) sowie einfache Körperverletzung (11%) machen insgesamt 83% aller polizeilich registrierten Straftaten im häuslichen Bereich aus. Seit 2009 sind diese Werte relativ stabil. Der Anteil geschädigter Frauen und Männer hat sich im Vergleich zu den vorherigen Jahren ebenfalls kaum verändert (70,4% Frauen, 29,6% Männer). Zudem wurden im Jahr 2020 im häuslichen Bereich 28 vollendete Tötungsdelikte registriert, dies entspricht der Hälfte aller polizeilich registrierten vollendeten Tötungsdelikte in der Schweiz (Total: 47). Von diesen 28 Tötungsdelikten ereigneten sich 11 in einer Partnerschaft, bei welchen 10 Frauen und ein Mann getötet wurden (s. Quellen: Statistik häusliche Gewalt).

2. Rechtsgrundlagen und Verfahren

Seit dem 1. April 2004 gilt gemäss Strafgesetzbuch (StGB), dass einfache Körperverletzung (Art. 123 Ziff. 2 Abs. 3-5 StGB), wiederholte Tätlichkeiten (Art. 126 Abs. 2 Bst. b, bbis und c StGB), Drohung (Art. 180 Abs. 2 StGB) sowie sexuelle Nötigung (Art. 189 StGB) und Vergewaltigung (Art. 190 StGB) in Ehe und Partnerschaft Offizialdelikte sind. Das heisst, dass diese Delikte von Amtes wegen verfolgt werden, sobald die Polizei Kenntnis von ihnen hat.

Verfolgt werden sowohl Gewalthandlungen zwischen Ehepartnern als auch zwischen heterosexuellen oder gleichgeschlechtlichen Lebenspartner/-innen mit einem gemeinsamen Haushalt auf unbestimmte Zeit oder bis zu einem Jahr nach deren Trennung. Die zwischen Lebenspartner/-innen begangenen Gewalthandlungen werden von Amtes wegen verfolgt, auch wenn diese je einen eigenen Wohnsitz haben oder getrennt leben oder bis zu einem Jahr nach der Scheidung resp. Trennung.

Das Zivilgesetzbuch (ZGB) verpflichtet die Kantone zudem dazu, den Opfern von Gewalt, Drohungen und Nachstellungen Schutzmassnahmen zu gewähren, nämlich die Wegweisung der gewaltausübenden Person, Annäherungs- und Kontaktverbote sowie ein Verbot, sich an bestimmten Orten aufzuhalten. In den kantonalen Polizeigesetzgebungen bzw. in eigens erstellten Gewaltschutzgesetzen ist folglich geregelt, wie lange eine Person von ihrem Wohnort weggewiesen werden kann und in allen Kantonen können Rückkehr- und Annäherungsverbote ausgesprochen werden.

Die Gesetzgebung rund um das Thema häusliche Gewalt versucht den speziellen Umständen der betroffenen Personen gerecht zu werden und hat deshalb einige Besonderheiten vorgesehen, wie z.B. bestimmte Möglichkeiten, das Verfahren auf Antrag des Opfers einzustellen oder besondere Schutzrechte für Opfer im Strafverfahren. Alle Opferberatungsstellen und andere auf häusliche Gewalt spezialisierten Institutionen bieten überdies Rechtsberatungen an und stellen detaillierte Informationen zur Rechtslage zur Verfügung.

Wie die Polizei im Fall einer Meldung vorgeht, wird auf der Website von SKP erläutert (s. Quellen: Häusliche Gewalt).

3. Häusliche Gewalt gegen ältere Menschen

Bei älteren Menschen kann eine Abhängigkeit, die sich aus einer Pflege- und/oder Betreuungsbedürftigkeit ergibt, zu häuslicher Gewalt führen. Von häuslicher Gewalt ist etwa jede fünfte ältere Person betroffen, am meisten durch psychische, aber auch durch physische Gewalt. Die häufigsten Formen häuslicher Gewalt im Alter sind

  • verbale Aggressionen (z.B. Drohen mit Heimeinweisung, Beleidigungen),
  • Vernachlässigung (z.B. Nicht-Abgeben von verschriebenen Medikamenten),
  • Vereiteln von Spitex-Einsätzen und Besuchen bei der Hausärztin/dem Hausarzt),
  • soziale Isolation (z.B. Untersagen von Besuchen, Unterschlagen von Briefen, Einschliessen),
  • körperliche Gewalt.

Insgesamt werden folgende Gewaltformen definiert:

  • Physisch: Zufügen von Verletzungen und Schmerzen
  • Psychisch Gewalt: Demütigung, Beschimpfung, Schweigen, Vorwürfe, Überfürsorge
  • Ökonomisch: Aneignen von Geld, Betrug, Zwang zur Testamentänderung
  • Sexualisiert: Pornografie aussetzen, sexuelle Übergriffe
  • Medikamentös: Verabreichen von Beruhigungsmitteln ohne Indikationsstellung
  • Vernachlässigung (bewusst und unbewusst): Ignorieren eines Notfalls, Vorenthalten von Nahrung, Mangelernährung, Mobilitätseinschränkungen
  • Verletzen der Grundrechte: Unterschlagen von Post, Entwenden von Ausweispapieren, Freiheitsberaubung

Eine Ursache von Gewalt gegenüber älteren Menschen kann in einer Überforderungssituation liegen. Meist findet die Gewalt wiederholt statt, einmalige Übergriffe sind selten. Am stärksten gefährdet sind ältere Menschen die

  • pflegebedürftig sind,
  • bei der Führung des Haushalts Unterstützung brauchen,
  • dement sind,
  • mit der betreuenden (gewaltausübenden) Person im selben Haushalt, wohnen und sonst isoliert sind,
  • schon früher Opfer von Gewalt geworden sind.

Ein erhöhtes Risiko, gegen ältere Menschen gewalttätig zu werden, haben Personen die

  • überfordert sind mit der Betreuung ihrer Angehörigen,
  • psychisch krank oder von Suchtmitteln abhängig sind,
  • auch ausserhalb der Betreuungssituation gewalttätig sind,
  • finanziell abhängig von der zu betreuenden älteren Person sind und im gleichen Haushalt wohnen,
  • in einem langen bestehenden, ungelösten Konflikt mit der älteren Person leben.

Handlungsempfehlungen für (potentiell) Gewaltbetroffene, Gewaltausübende sowie Zeuginnen und Zeugen sind auf der Website von SKP zu finden (s. Quellen: Häusliche Gewalt und Kap. 5). Fragebögen zur Analyse von (gefährdenden) Betreuungssituationen und Hilfe bei der Auswertung und Analyse sind bei der Stiftung Zentrum für Qualität in der Pflege ZQP zu finden (s. Formular: Fragebögen zur Angehörigen-Resilienz und -Belastung (FARBE).

4. Triage Pro Senectute Kanton Bern

Mutmassliche und tatsächliche Gewaltbetroffene und Gewaltausübende sowie Zeuginnen und Zeugen sind mit Fach- und Beratungsstellen zu vernetzen. Aus diesem Grund werden im Folgenden Informations-, Anlauf- und Beratungsstellen aufgeführt.

5. Informations- und Anlaufstellen

Alter ohne Gewalt
Anlauf- und Triagestelle für Opfer und Zeugen sowie Links zu Medienberichten zum Thema Gewalt im Alter inkl. Hotline (084 800 13 13).

Häusliche Gewalt, Schweizerische Kriminalprävention (SKP)
Informationsvermittlung, Empfehlungen zu Vorgehensweisen für Gewaltbetroffene, Gewaltausübende und Zeuginnen und Zeugen bei häuslicher Gewalt sowie Verweise auf zuständige Beratungsstellen in der Schweiz.

Opferhilfe-Schweiz
Informationsvermittlung in 5 Sprachen rund ums Thema Gewalt und Opferhilfe in der Schweiz plus Kurzinformationen über Opferhilfe in 11 weiteren Sprachen inkl. Gebärdensprache mit Links zu Informationsbrochüren und Merkblättern von Bund und Fachstellen sowie Verweise auf zuständige Beratungsstellen in der ganzen Schweiz (s. auch Stichwort: Opferhilfe).

Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden Kanton Bern (KESB)
Informationsvermittlung rund ums Thema Erwachsenen- und Kindesschutz sowie Adressen der KESB (s. auch Stichwort: Erwachsenenschutz).

Brava, Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen (ehemals Terre des Femmes):
Beratung, Triage und Links in 12 Sprachen für Betroffene, Angehörige und Fachpersonen.

Informationsfilm von Terre des Femmes zu: Häusliche Gewalt-was tun?

Unabhängige Beschwerdestelle für das Alter (UBA)
Hilfe zur Selbsthilfe bei Konflikten in verschiedensten Bereichen wie Betreuung, Pflege, Wohnen, Finanzen, Krankenkasse, Familie für ältere Menschen, die von jeglicher Form von Gewalt betroffen sind.

Opferhilfe im Kanton Bern s. Stichwort: Opferhilfe (inkl. Frauenhäuser, LANTANA, VISTA).

AppElle! 24-Stunden-Hotline der Berner Frauenhäuser
Informationsvermittlung, 24-Stunden-Hotline, Beratung, Krisenintervention

Im Notfall
Polizeinotruf 117 bei akuten Gewalt- oder Bedrohungslagen

Medizinische Hilfe 144

Schutzunterkunft (s. Opferhilfe Schweiz)

Fachstelle Gewalt Bern
Anlaufstelle für Gewaltsausübende, Lernprogramm gegen häusliche Gewalt für Gewaltausübende

Änderungen im Stichwort

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