Erwachsenenschutz
29.05.2020 / sbi
Zusammenfassung
In diesem Stichwort werden die Grundlagen des Erwachsenenschutzes sowie die verschiedenen Massnahmen gemäss dem Zivilgesetzbuch erläutert.
Auf die Organisation, das Verfahren und die Zusammenarbeit mit der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden (KESB) wird im Stichwort KESB und Verfahren eingegangen. Ebenfalls die Thematik der Gefährdungsmeldungen und Selbstmeldungen wird im Stichwort KESB und Verfahren behandelt. Für die Vorsorgedokumente besteht ein separates Stichwort.
1. Grundlagen und Ziele
2013 löste das heutige Erwachsenenschutzrecht das bisher gültige Vormundschaftsrecht ab. Der Erwachsenenschutz im Schweizerischen Zivilgesetzbuch (Art. 360 bis 456 ZBG) regelt die rechtliche Situation und den Schutz von Menschen, die wegen eines Schwächezustandes ihre Angelegenheiten nicht oder nur unvollständig selbst besorgen können.
Die volljährige und urteilsfähige und somit handlungsfähige Person kann im Rahmen der Rechtsordnung ihre persönlichen und finanziellen Angelegenheiten selbständig regeln. Diese Selbständigkeit kann aufgrund eines in der Person liegenden Schwächezustandes (s. Kap. 1.2) eingeschränkt sein. Kann deswegen eine Person wichtige Angelegenheiten nicht oder nur ungenügend erledigen, gefährdet das ihr Wohl und ihre Interessen. Daraus kann eine Schutzbedürftigkeit entstehen. Hier greift das Erwachsenenschutzrecht ein. Es stellt eine Reihe von Instrumenten zur Verfügung, um die persönlichen oder finanziellen Interessen von schutzbedürftigen Personen zu sichern. Leitgedanke ist immer das Wohl und der Schutz der betroffenen Person.
Der Erwachsenschutz folgt den Leitprinzipien der Selbstbestimmung (Art. 388 ZGB), der Subsidiarität und der Verhältnismässigkeit (Art. 389 ZGB) des staatlichen Eingriffes. Dies heisst, Personen, welche handlungsfähig sind, sollen gemäss dem Selbstbestimmungsprinzip, zuerst selbständig über ihr Leben bestimmen können. Weiter soll der Erwachsenenschutz nur angewendet werden, wenn die vom Schwächezustand betroffene Person sich nicht aus eigener Kraft oder unter Erschliessung von Ressourcen aus ihrer Umgebung helfen kann sowie wenn diese Hilfe als ungenügend erscheint. Der Eingriff muss so gering wie möglich, aber so stark wie notwendig sein. Er soll zudem dazu geeignet sein, den bestehenden Schwächezustand zu mildern oder zu beheben.
Ein zentraler Begriff im Erwachsenenschutz ist somit die Urteilsfähigkeit. Die Urteilsfähigkeit ist im Art. 16 ZGB geregelt und fehlt einer Person, welcher wegen ihres Kindsalters, infolge geistiger Behinderung, psychischer Störung, Rausch oder ähnlichem Zustand die Fähigkeit mangelt, vernunftgemäss zu handeln. Die Urteilsunfähigkeit kann somit schleichend durch eine Krankheit (z.B. Demenz) oder auch plötzlich durch einen Unfall (Komma) herbeigeführt werden und jede Person jedes Alters treffen. Die Frage der Urteilsfähigkeit muss immer an einer bestimmten Handlung gemessen und für eine konkrete Situation beurteilt werden, auch kann die Urteilsfähigkeit nur zeitlich vorübergehend sein.
Die Urteilsfähigkeit erfüllt im Geschäftsverkehr eine wichtige Rolle: Es muss klar sein, ob ein Vertrag gültig ist oder eben aufgrund mangelnder Vertragsfähigkeit nicht zustande gekommen ist. Die Vertragsfähigkeit ist mit der Handlungsfähigkeit (Fähigkeit, Rechte und Pflichten zu begründen gemäss Art. 12 und 13 ZGB) gleichzusetzten und setzt Folgendes voraus:
- Urteilsfähigkeit (Die Person kann das Ausmass und die Tragweite ihrer Handlungen abschätzen und sich danach richten gemäss Art. 16 ZGB)
- Mündigkeit / Volljährigkeit (Erreichen des 18. Lebensjahres gemäss Art. 14 ZGB)
Wird also mit einer urteilsunfähigen, einer unmündigen oder unter Beistandschaft (umfassend oder in diesem Bereich eingeschränkte Handlungsfähigkeit) gestellten Person ein Vertrag abgeschlossen, ist dieses Geschäft ohne die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters nichtig. Das Geschäft und allfällige bereits bezogene oder bezahlte Güter/Leistungen müssen rückgängig gemacht und/oder zurückerstattet werden (Art. 17-19 ZGB).
Höchstpersönliche Rechte (Art. 19c ZGB) sind solche, die einer Person um ihrer Persönlichkeit willen zustehen. Diese Rechte können auch von handlungsunfähigen Personen (Minderjährigen, unter umfassender Beistandschaft stehenden Personen) wahrgenommen werden, falls sie urteilsfähig sind. Unter diese höchstpersönlichen Rechte fallen z.B.:
- das Recht, über die religiöse Zugehörigkeit nach Erreichen des 16. Altersjahrs zu entscheiden,
- das Recht, medizinischen Behandlungen zuzustimmen,
- das Recht zur Eheschliessung und zur Einreichung einer Ehescheidungsklage,
- das Recht, ein Testament zu errichten oder dieses zu widerrufen oder einen Erbvertrag abzuschliessen,
- das Recht, ein Kind zu anerkennen.
2. Eigene Vorsorge (Art. 360ff ZGB)
Wie oben erwähnt, haben das Selbstbestimmungsrecht und die Autonomie der betroffenen Person im Erwachsenenschutz einen hohen Stellenwert. Mit den Vorsorgedokumenten, Vorsorgeauftrag und Patientenverfügung, kann vorsorglich geregelt werden, wer die Vertretung bei persönlichen Fragen, bei der Verwaltung des Einkommens- und Vermögens sowie im Rechtsverkehrt übernehmen soll. Auch sollen sie dokumentieren, welche medizinischen Massnahmen bei Urteilsunfähigkeit gewünscht oder abgelehnt werden. Weitere Informationen s. Stichwort: Docupassberatungen.
3. Massnahmen von Gesetzes wegen für urteilsunfähige Personen
Zur Stärkung der Familiensolidarität und zum Schutz von urteilsunfähigen Personen in Pflegeeinrichtungen, gibt es seit 2013 die Massnahmen von Gesetzes wegen.
Gemäss Art. 374ff ZGB gibt es eine gesetzliche Vertretungsmöglichkeit innerhalb der Ehe oder der eingetragenen Partnerschaft in persönlichen, finanziellen und rechtlichen Bereichen. Der vorübergehende oder dauerhafte urteilsunfähige Ehegatte kann von Gesetzes wegen in bestimmten Belangen und in bestimmtem Umfang durch den urteilsfähigen Ehegatten vertreten werden. Sie/er benötigt die Mitwirkung der KESB für Geschäfte ausserhalb der üblichen Verwaltung des Einkommens/Vermögens (z.B. Hausverkauf, Hypothek erhöhen etc.). Die KESB schreitet nur ein bei Gefährdung der Interessen der/des urteilsunfähigen Ehegattin/Ehegatten. Diese Regelung gilt auch bei eingetragenen Partnerschaften. Das Vertretungsrecht ist subsidiär, d.h. es wird erst wirksam, wenn die betroffene Person keinen Vorsorgeauftrag (s. Stichwort: Docupassberatungen?) erstellt hat oder nicht bereits unter Beistandschaft steht.
Urteilsfähige Patientinnen und Patienten entscheiden immer selber über die vorzunehmenden medizinischen Massnahmen. Ist ein/e Patient/in jedoch urteilsunfähig und hat er/sie sich vorher nicht zur Behandlung in einer Patientenverfügung (s. Stichwort: Docupassberatungen?) geäussert, muss die/der behandelnde Ärztin/Arzt die vertretungsberechtigte Person bei medizinischen Massnahmen beiziehen, um diese über bevorstehende medizinischen Behandlungen anhand eines Behandlungsplanes zu orientieren und deren Zustimmung einzuholen (Art. 377 ZGB). Art. 378 ZGB regelt in einer siebenstufigen Kaskade die von Gesetzes wegen zur Vertretung bei medizinischen Massnahmen berechtigten Personen.
Die genannten Personen(gruppen) sind bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen in der folgenden Reihenfolge berufen (Kaskadenregelung), den/die urteilsunfähigen Patienten/Patientin zu vertreten und den vorgesehenen medizinischen Massnahmen die Zustimmung zu erteilen oder zu verweigern:
- die in einer Patientenverfügung oder in einem Vorsorgeauftrag bezeichnete Person;
- der Beistand oder die Beiständin mit einem Vertretungsrecht bei medizinischen Massnahmen;
- wer als Ehegatte, eingetragene/r Partner/in einen gemeinsamen Haushalt mit der urteilsunfähigen Person führt oder ihr regelmässig und persönlich Beistand leistet;
- die Person, die mit der urteilsunfähigen Person einen gemeinsamen Haushalt führt und ihr regelmässig und persönlich Beistand leistet (Bsp. Konkubinatspartner/in);
- die Nachkommen, wenn sie der urteilsunfähigen Person regelmässig und persönlich Beistand leisten;
- die Eltern, wenn sie der urteilsunfähigen Person regelmässig und persönlich Beistand leisten;
- die Geschwister, wenn sie der urteilsunfähigen Person regelmässig und persönlich Beistand leisten.
Sind mehrere Personen vertretungsberechtigt (z.B. mehrere Nachkommen), so darf der gutgläubige Arzt voraussetzen, dass jede im Einverständnis mit den anderen handelt (Art. 378 Abs. 2 ZGB).
In Fällen jedoch, in denen unklar ist, wer vertretungsberechtigt ist, die vertretungsberechtigten Personen unterschiedliche Auffassungen über die vorzunehmenden medizinischen Massnahmen haben, die Interessen der urteilsunfähigen Person gefährdet bzw. nicht mehr gewahrt sind, schreitet die Erwachsenenschutzbehörde auf Meldung einer Person, des Arztes, oder der Institution etc. ein und bestimmt entweder die vertretungsberechtigte Person oder errichtet für die/den urteilsunfähige/n Patientin/Patienten eine Vertretungsbeistandschaft (Art. 381 ZGB).
Das neue Erwachsenenschutzrecht verbessert den Schutz von Bewohnerinnen/Bewohnern in Wohn- oder Pflegeeinrichtungen. Im Fall der längerdauernden Betreuung einer urteilsunfähigen Person in einer Wohn- oder Pflegeeinrichtung, muss ein schriftlicher Betreuungsvertrag abgeschlossen werden. Darin sind die Leistungen, vor allem Wohnraum, Verpflegung und Pflege sowie der Preis für die Leistungen, transparent aufzuführen. Der Vertrag wird von der Vertreterin oder vom Vertreter der urteilsunfähigen Person abgeschlossen. Dabei kommt das Vertretungsrecht derselben Person zu wie bei medizinischen Massnahmen allgemein (s. Kap. 3.2).
Die Bewegungsfreiheit der urteilsunfähigen Person in einer Wohn- oder Pflegeeinrichtung darf nur unter bestimmten Bedingungen eingeschränkt werden. Eine Einschränkung ist dann zulässig, wenn
- weniger einschneidende Massnahmen nicht ausreichen und
- eine ernsthafte Gefahr für das Leben oder die körperliche Integrität der betroffenen urteilsunfähigen Person oder Dritter droht oder
- das Gemeinschaftsleben schwerwiegend gestört ist.
Jede Einschränkung der Bewegungsfreiheit muss protokolliert werden. Die betroffene oder eine ihre nahestehende Person kann sich gegen eine Einschränkung jederzeit schriftlich an die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde wenden. Zuständig ist die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde des Verwaltungskreises, in dem die Wohn- oder Pflegeeinrichtung ihren Sitz hat (s. Merkblätter: Formulare und Merkblätter KESB).
4. Behördliche Massnahmen
Das Erwachsenenschutzrecht kennt zudem diverse behördliche Schutzmassnahmen, die nur über die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) angeordnet werden können.
Das neue Erwachsenenschutzrecht sieht als behördliche Massnahme die Beistandschaft vor. Eine Beistandschaft kommt nur dann in Frage, wenn die – aufgrund eines Schwächezustandes entstandene – Schutzbedürftigkeit einer Person nicht mittels anderer Lösungen aufgefangen werden kann. Damit ist die Unterstützung der betroffenen Person durch das private Umfeld, durch private gemeinnützige Organisationen oder durch öffentliche Dienste gemeint.
Erweist sich eine Beistandschaft als nötig, so ist die konkrete Massnahme massgeschneidert auszugestalten. Das heisst, sie ist individuell auf die Bedürfnisse der betroffenen Person zuzuschneiden. Der Aufgabenbereich der Beiständin oder des Beistandes ist entsprechend zu formulieren. Das Selbstbestimmungsrecht der hilfsbedürftigen Person soll nur soweit eingeschränkt werden, als es zu deren Schutz nötig ist. Devise ist: so viel staatliche Fürsorge wie nötig, so wenig staatlicher Eingriff wie möglich.
Eine Beistandschaft muss von der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) angeordnet werden. Dabei werden vier verschiedene Arten der Beistandschaft unterschieden: die Begleit-, die Vertretungs-, die Mitwirkungs- und die umfassende Beistandschaft. Die drei erstgenannten Arten von Beistandschaften sind miteinander kombinierbar.
Begleit- |
Vertretungs- beistandschaft |
Mitwirkungs- beistandschaft |
Umfassende |
|
Aufgaben- bereich(e) |
Bedarfsorientierte Umschreibung (eventuell in allen Lebensbereichen) |
Bedarfsorientierte Umschreibung |
Bedarfsorientierte Umschreibung |
Von Gesetzes wegen |
Handlungs- fähigkeit |
Von Gesetzes wegen keine Einschränkung |
Punktuelle behördliche |
Von Gesetzes wegen eingeschränkt bezüglich Aufgabenbereich* |
Entfällt von |
Vertretungs- macht der Beiständin oder des Beistan- des** |
Keine Vertretung, nur aufgabenbezogene Begleitung |
Aufgabenbezogene Vertretung |
Keine Vertretung, nur aufgabenbezogene Mitwirkung |
Umfassende |
* soweit Urteilsfähigkeit besteht, beschränkte Handlungsfähigkeit im Rahmen der Einschränkung
** vorbehältlich: höchstpersönliche Rechte (Art. 19c ZGB), verbotene Geschäfte (Art. 412 Abs. 1 und Art. 304 Abs. 3 ZGB), eingeschränkte Vertretungsmacht bei zustimmungsbedürftigen Geschäften (Art. 416ff ZGB)
4.1.1 Begleitbeistandschaft
Die Begleitbeistandschaft nach Art. 393 ZGB stellt den schwächsten Eingriff für die betroffene Person dar. Sie ist nur mit Zustimmung der betroffenen Person möglich und schränkt deren Handlungsfähigkeit nicht ein. Sie beinhaltet – wie es ihr Name bereits sagt – rein begleitende und vertretungslose Unterstützung der betroffenen Person. Es geht darum die Person mit Rat zu unterstützen, sie zu fördern und allenfalls zu vermitteln. Es wird Hilfe zur Selbsthilfe angestrebt. Die Mandatsperson kann auch bestimmte Kontrollfunktionen übernehmen und soll die Unterstützung aktiv mitgestalten. Sie ist zur periodischen Berichterstattung verpflichtet, eine Inventar- und Abrechnungspflicht fällt mangels Einkommens- und Vermögensverwaltung weg (s. Quellen: Erwachsenenschutzrecht, S. 143 – 144). Diese Beistandschaft wird eher selten angeordnet, da die nötigen Hilfestellungen durch freiwillige Beratungsstellen (wie z.B. Pro Senectute, AD) abgedeckt werden können.
4.1.2 Vertretungsbeistandschaft
Eine Vertretungsbeistandschaft (Art. 394 ZGB) (inklusive Vermögensverwaltung Art. 395 ZGB) wird eingerichtet, wenn die hilfsbedürftige Person bestimmte Angelegenheiten nicht selbst erledigen kann und sie deshalb eine Vertretung braucht. Ihre Handlungsfähigkeit kann nötigenfalls eingeschränkt werden. Kein Vertretungsrecht hat die Mandatsperson bei verbotenen Geschäften gemäss Art. 412 Abs. 2 ZGB und im Bereich der höchstpersönlichen Rechte gemäss Art. 19c ZGB (z.B. Eheschliessung, Scheidungsklage einreichen, Anerkennen eines Kindes, Testament erstellen oder widerrufen, Vorsorgeauftrag und Patientenverfügung errichten).
Diese Massnahme stellt die häufigste Beistandschaftsform dar, insbesondere unter den Altersbeistandschaften mit meist umfangreicher Aufgabenstellung (Personen-, Vermögenssorge und Vertretung im Rechtsverkehr).
4.1.3 Mitwirkungsbeistandschaft
Eine Mitwirkungsbeistandschaft (Art. 396 ZGB) wird dann errichtet, wenn die hilfsbedürftige Person zu ihrem eigenen Schutz für bestimmte Handlungen (z.B. Kauf von Wertpapieren, Autos etc., Gewährung und Aufnahme von Darlehen oder Ausrichtung von Schenkungen) die Zustimmung der Beiständin oder des Beistandes einholen muss. Für diese Handlungen wird die Handlungsfähigkeit der betroffenen Person eingeschränkt. Diese Beistandschaft ist eher selten.
4.1.4 Umfassende Beistandschaft
Eine umfassende Beistandschaft (Art. 398 ZGB) kann angeordnet werden, wenn die betroffene Person besonders hilfsbedürftig ist. Dies trifft vor allem im Fall ihrer dauernden Urteilsunfähigkeit zu. Die Handlungsfähigkeit der betroffenen Person entfällt von Gesetzes wegen. Diese Massnahme entspricht der früheren Vormundschaft und wird nur noch sehr selten angeordnet, insbesondere wegen der Möglichkeit der punktuellen Einschränkung der Handlungsfähigkeit im Rahmen der Vertretungsbeistandschaft und Kombinierbarkeit der Beistandschaftsarten (Art. 397 ZGB) untereinander.
Gemäss Art. 400 ZGB ernennt die KESB als Beistand/Beiständin
- eine natürliche Person,
- die für die vorgesehene Aufgabe persönlich und fachlich geeignet ist,
- die, die dafür erforderliche Zeit einsetzten kann,
- und die Aufgabe selber wahrnimmt.
Bei der Ernennung werden, wenn möglich die Wünsche der betroffenen Person sowie ihrer Angehörigen oder anderer nahestehender Personen berücksichtigt, sofern die vorgeschlagenen Personen für die Übernahme der Beistandschaft geeignet und dazu bereit sind (Art. 401 ZGB). Es können bei besonderen Umständen auch mehrere Personen ernannt werden (Art. 402 ZGB). Bei Interessenkollisionen entfallen von Gesetzes wegen die Befugnisse der/des Beiständin/Beistandes in der entsprechenden Angelegenheit und es muss eine Ersatzbeistandsperson von der KESB ernannt werden (Art. 403 ZGB).
Die Art. 405-414 ZGB regeln die Rechte und Pflichten der Mandatspersonen während der Mandatsführung:
- Persönliche Kontaktaufnahme mit der betroffenen Person und Beschaffung der nötigen Kenntnisse zur Aufgabenerfüllung gemäss Art. 405 Abs. 1 ZGB.
- Bei Einkommens- und Vermögensverwaltung: Inventaraufnahme in Zusammenarbeit mit der Behörde gemäss Art. 405 Abs. 2 ZGB.
- Aufgabenerfüllung im Interesse der betroffenen Person, Rücksichtnahme auf deren Meinung und Willen gemäss Art. 406 ZGB.
- Sorgfaltspflicht bei der Vermögensverwaltung gemäss Art. 408 ZGB.
- Mindestens alle zwei Jahre Berichtserstattung und Rechnungsablage zuhanden der Behörde gemäss Art. 410 und 411 ZGB.
- Sorgfalts- und Verschwiegenheitspflicht der Mandatsperson gemäss Art. 413 ZGB
- Pflicht zur Anpassung der Massnahme gemäss Art. 414 ZGB.
- Einholen der behördlichen Zustimmung bei definierten Geschäften gemäss Art. 416 und 417 ZGB.
- Erfordern es die Umstände, kann sich die Mandatsperson von der Behörde ermächtigen lassen, die Post der verbeiständeten Person zu öffnen und deren Wohnräume zu betreten. (Art. 391 Abs. 3 ZGB).
Es gibt sowohl private Mandatstragende (PriMa) wie auch professionelle Mandatspersonen (ProMa). Letztere sind Angestellte bei den kommunalen Behörden (EKS/SD). Diese Unterscheidung wird im Gesetz nicht explizit erwähnt.
Werden Ehegatten, eingetragene Partner/innen, Eltern, Nachkommen, Geschwister oder faktische Lebenspartner/innen als Beistand/Beiständin (sogenannte PriMa) eingesetzt, so hat die KESB gemäss Art. 420 ZGB die Möglichkeit, sie von der Inventar-, Berichterstattungspflicht oder Zustimmungsbedürftigkeit gewisser Geschäfte zu entbinden. Weitere Informationen und Merkblätter hierzu sind auf der Homepage des Kantons den jeweiligen Themen zugeordnet (s. Merkblätter: Private Beiständinnen und Beistände).
Das Erwachsenenschutzrecht sieht in Art. 416 ZGB einen Katalog von Rechtsgeschäften vor, welche nicht von der Beiständin/vom Beistand alleine abgeschlossen werden können. Die KESB kann gemäss Art. 417 ZGB verfügen, dass ihr aus wichtigen Gründen weitere Geschäfte zur Genehmigung unterbreitet werden.
Wenn der Beistand/die Beiständin im Namen der verbeiständeten Person ein Rechtsgeschäft abschliesst, das in Art. 416 ZGB erwähnt oder von der KESB gestützt auf Art. 417 ZGB zusätzlich bestimmt worden ist, bedarf er/sie dafür der Zustimmung der KESB. Diese Zustimmung kann der Beistand/die Beiständin auf zwei Arten erlangen:
- Durch die verbeiständete Person, wenn sie urteilsfähig ist und ihr die Handlungsfähigkeit im fraglichen Bereich oder umfassend nicht entzogen worden ist.
- Durch die KESB, wenn die verbeiständete Person die Zustimmung nicht erteilen kann oder nicht erteilen will.
Katalog zustimmungsbedürftiger Geschäfte gemäss Art. 416 ZGB:
- Liquidation des Haushalts, Kündigung des Vertrags über Räumlichkeiten, in denen die betroffene Person wohnt;
- Dauerverträge über die Unterbringung der betroffenen Person;
- Annahme oder Ausschlagung einer Erbschaft, wenn dafür eine ausdrückliche Erklärung erforderlich ist, sowie Erbverträge und Erbteilungsverträge;
- Erwerb, Veräusserung, Verpfändung und andere dingliche Belastung von Grundstücken sowie Erstellen von Bauten, das über ordentliche Verwaltungshandlungen hinausgeht;
- Erwerb, Veräusserung und Verpfändung anderer Vermögenswerte sowie Errichtung einer Nutzniessung daran, wenn diese Geschäfte nicht unter die Führung der ordentlichen Verwaltung und Bewirtschaftung fallen;
- Aufnahme und Gewährung von erheblichen Darlehen, Eingehung von wechselrechtlichen Verbindlichkeiten;
- Leibrenten- und Verpfründungsverträge sowie Lebensversicherungen, soweit diese nicht im Rahmen der beruflichen Vorsorge mit einem Arbeitsvertrag zusammenhängen;
- Übernahme oder Liquidation eines Geschäfts, Eintritt in eine Gesellschaft mit persönlicher Haftung oder erheblicher Kapitalbeteiligung;
- Erklärung der Zahlungsunfähigkeit, Prozessführung, Abschluss eines Vergleichs, eines Schiedsvertrags oder eines Nachlassvertrags, unter Vorbehalt vorläufiger Massnahmen des Beistands oder der Beiständin in dringenden Fällen.
Eine zwingende Zustimmung der KESB wird für Rechtsgeschäfte zwischen dem/der Beistand/ Beiständin und der verbeiständeten Person benötigt, und zwar auch dann, wenn die verbeiständete Person urteils- und voll handlungsfähig ist (Art. 416 Abs. 3 ZGB). Ausgenommen sind unentgeltliche Aufträge.
Beiständinnen und Beistände haben Anspruch auf eine angemessene Entschädigung und auf Ersatz der notwendigen Spesen. Dies ist in der Verordnung über die Entschädigung und den Spesenersatz für die Führung einer Beistandschaft (ESBV) geregelt und werden in einem Merkblatt konkretisiert (s. Merkblätter: Merkblatt Entschädigung und Spesenersatz KESB).
Die Entschädigung erfolgt in der Regel in Form einer Jahrespauschale oder ausnahmsweise durch Abgeltung des gebotenen Aufwands (Aufwandentschädigung).
Bei der Aufwandentschädigung legt die KESB vor der Einsetzung der Beistandsperson den Stundenansatz und ein Kostendach fest. Bemessung der Aufwandentschädigung (Art. 4 ESBV). Bei der Abgeltung des gebotenen Aufwands trägt die KESB namentlich dem Umfang und der Komplexität der von der Beiständin/dem Beistand zu erfüllenden Aufgaben Rechnung. Der Stundenansatz beträgt höchstens Fr. 120.-. Bei seiner Festlegung berücksichtigt die KESB die konkreten Umstände des Einzelfalls, namentlich:
- die wirtschaftliche Situation der verbeiständeten Person,
- die Höhe des zu verwaltenden Vermögens,
- die mit der Führung der Beistandschaft übernommene Verantwortung und
- allfällige branchenübliche Tarifansätze.
Die Jahrespauschale beträgt:
- Fr. 1'000.- bis Fr. 4'000.- für eine persönliche Betreuung mit oder ohne Rechnungsführung bei insgesamt grossem Aufwand.
- Fr. 500.- bis Fr. 2'000.- für eine persönliche Betreuung mit Rechnungsführung.
- bis Fr. 1'000.- Franken für eine persönliche Betreuung ohne Rechnungsführung bei geringem Aufwand.
Bei der Festlegung der Jahrespauschale innerhalb der Tarifrahmen berücksichtigt die KESB die Kriterien nach Art. 4 Abs. 2 ESBV (siehe oben genannte).
Der Spesenersatz richtet sich
- bei privaten Beiständinnen und Beiständen, die von einer kantonalen KESB eingesetzt worden sind, nach der kantonalen Personalgesetzgebung, wobei für die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel Billette zweiter Klasse zu verrechnen sind.
- bei privaten Beiständinnen und Beiständen, die von der burgerlichen KESB eingesetzt worden sind, nach dem Personalrecht der Burgergemeinde Bern.
Soweit Infrastrukturspesen von privaten Beiständinnen und Beiständen (Telefon-, Porto-, Papier-, Kopierkosten und dergleichen) nicht bereits in der Entschädigung enthalten sind, werden sie durch eine Infrastrukturpauschale von jährlich Fr. 100.- bis Fr. 200.- abgegolten.
Die KESB legt die Art der Entschädigung (Aufwandentschädigung oder Jahrespauschale) bereits bei der Bestellung der Beiständin/des Beistands fest. Über die Höhe der Entschädigung und des Spesenersatzes entscheidet sie in der Regel gleichzeitig mit der periodischen Berichts- und Rechnungsprüfung (Art. 36 Abs. 1 KESG) durch Verfügung. Die Beiständin/der Beistand macht der KESB die dazu nötigen Angaben und reicht die erforderlichen Unterlagen ein. Sie können auf eine Entschädigung verzichten.
Entschädigung und Spesenersatz müssen bei der zuständigen KESB beantragt und von dieser genehmigt werden. Die Auszahlung erfolgt immer durch die Staatskasse nach erfolgter Genehmigung durch die KESB. Beiständinnen/Beistände sind niemals dazu berechtigt, die Entschädigung und den Spesenersatz selbst vom Vermögen der betroffenen Person in Abzug zu bringen.
Die im Merkblatt erwähnten Pauschalentschädigungen werden den verbeiständeten Personen sowohl bei PriMa-Beistandschaften wie auch bei ProMa-Beistandschaften in Rechnung gestellt bzw. bevorschusst. Die Entschädigung und der Spesenersatz werden bis zu einem Freibetrag von Fr. 8'000.- aus dem Vermögen der betroffenen Person bezahlt (s. Quellen: Entschädigung und Verfahrenskosten bei Erwachsenenschutzmassnahmen). Können die Mittel für die Entschädigung und den Spesenersatz nicht vollumfänglich dem Vermögen der betroffenen Person entnommen werden, so werden die Kosten vom Kanton vorfinanziert. Bei PriMa-Mandaten wird die Entschädigung den Privatbeistandspersonen ausbezahlt, während bei ProMa-Mandaten die Entschädigung an den Kanton geht (Art. 10 Abs. 1 ESBV). Die ProMas sind für die Führung einer Beistandschaft durch ihr Gehalt abgegolten (Art. 2 Abs. 2 ESBV). Die kommunalen Sozialdienste wiederum werden von der KESB bzw. vom Kanton gemäss der Verordnung über die Zusammenarbeit der kommunalen Dienste mit den Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden und die Abgeltung der den Gemeinden anfallenden Aufwendungen (ZAV) entschädigt. Spesen können sowohl von den PriMas (Art. 6 Abs. 1 Bst. a ESBV) wie auch von den ProMas (Art. 6 Abs. 1 Bst. c ESBV) geltend gemacht werden, wobei der Spesenersatz bei ProMa-Mandaten den Sozialdiensten zusteht (Art. 10 Abs. 2 ESBV).
Ist die/der PriMa-Beiständin/Beistand AHV-pflichtig (ausbezahlte Entschädigung von mehr als Fr. 2‘300.-- unabhängig von der Dauer der Berichts- und Rechnungsperiode), erfolgt dies nach Verrechnung der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeträge. Die Beiständin/der Beistand hat Anspruch auf einen Lohnausweis. Die Entschädigungen sind zu versteuern. Entschädigung und Spesenersatz sind grundsätzlich anlässlich der periodischen Berichts- und Rechnungsprüfung jedes 2. Jahr geltend zu machen. Möchte die Beiständin/der Beistand die AHV-Pflicht umgehen oder steuerrechtlich jahresgerecht (Steuerprogression) abrechnen, kann sie/er einen Antrag auf jährliche Ausbezahlung der Entschädigung und des Spesenersatzes bei der KESB stellen. Dieser Antrag ist spätestens per Ende September des Abrechnungsjahres einzureichen.
5 Fürsorgerische Unterbringung (FU) (Art. 426ff ZGB)
Die fürsorgerische Unterbringung (FU) löste 2013 die fürsorgerische Freiheitsentziehung (FFE) ab und ist ebenfalls eine behördliche Massnahme. Die Voraussetzungen für eine FU sind weitgehend gleich wie bisher. Es sind Folgende:
- Die betroffene Person leidet an einem Schwächezustand aufgrund einer psychischen Störung (dazu gehören auch Suchterkrankungen), einer geistigen Behinderung oder einer schweren Verwahrlosung. Dabei werden die Belastungen und der Schutz von Angehörigen und von Dritten berücksichtigt.
- Die nötige Betreuung oder Behandlung der betroffenen Person kann nur durch eine Unterbringung in einer geeigneten Einrichtung sichergestellt werden.
Für die Anordnung einer FU ist die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) zuständig. Im Notfall können auch Ärztinnen oder Ärzte mit einer schweizerischen Berufsausübungsbewilligung für maximal sechs Wochen eine FU anordnen. Erweist sich eine Verlängerung der Unterbringung als nötig, muss dies die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde anordnen.
Wer durch die KESB oder ärztlich gem. Art. 426 ZGB in einer Einrichtung untergebracht wurde (Fürsorgerische Unterbringung), kann dagegen innert 10 Tagen seit Mitteilung des Entscheids schriftlich Beschwerde beim Obergericht des Kantons Bern, Kindes- und Erwachsenenschutzgericht, Hochschulstrasse 17, 3001 Bern, erheben (Art. 450 Abs. 1 und Art. 439 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB). Diese Frist gilt auch für beschwerdeberechtigte Personen, denen der Entscheid nicht mitgeteilt werden muss. Beschwerde erheben können auch der zurückbehaltenen oder untergebrachten Person nahestehende Personen (Beistands-, Vertrauensperson, Ehepartner, Kinder, Eltern, etc.). Die ärztliche Unterbringung dauert längstens 6 Wochen. Die betroffene Person kann die Einrichtung verlassen, soweit die KESB in der Zwischenzeit nicht eine Fürsorgerische Unterbringung auf unbestimmte Zeit ausgesprochen hat. Für die Entlassung aus der ärztlichen Unterbringung ist die Klinik zuständig. In allen anderen Fällen ist die KESB für die Entlassung zuständig, es sei denn, sie habe diese Zuständigkeit der Klinik delegiert. Fürsorgerische Unterbringungen der KESB sind von Amtes wegen spätestens nach 6 Monaten periodisch zu überprüfen. Innerhalb von weiteren 6 Monaten führt die KESB von Amtes wegen eine zweite Überprüfung durch und danach überprüft sie die Fürsorgerische Unterbringung so oft wie nötig, mindestens aber einmal jährlich. Jede Person, die in einer Einrichtung fürsorgerisch untergebracht wird, ist berechtigt, eine Vertrauensperson beizuziehen, die sie während des Aufenthalts und bis zum Abschluss aller damit zusammenhängenden Verfahren unterstützt. Auch gegen jeden neuen Entscheid können dieselben Personen wiederum beim Obergericht des Kantons Bern innert 10 Tagen seit Erhalt des Entscheids schriftlich Beschwerde erheben.
Quellen und Links
- Schweizerisches Zivilgesetzbuch (ZGB)
- Verordnung über die Vermögensverwaltung im Rahmen einer Beistandschaft oder Vormundschaftt (VBVV)
- Gesetz über den Kindes- und Erwachsenenschutz (KESG), Kanton Bern
- Personalgesetz (PG), Kanton Bern
- Verordnung über den Kindes- und Erwachsenenschutz (KESV), Kanton Bern
- Verordnung über die Zusammenarbeit der kommunalen Dienste mit den Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden und die Abgeltung der den Gemeinden anfallenden Aufwendungen (ZAV), Kanton Bern
- Verordnung über die Entschädigung und den Spesenersatz für die Führung einer Beistandschaft (ESBV), Kanton Bern
keine
Erwachsenenschutzrecht (mit Mustern), KOKES, 2012 (Buch)
Erwachsenenschutz, Walter Noser und Daniel Rosch, Beobachter, 2. Auflage 2014 (Buch)
Änderungen im Stichwort
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